Die Editionsgeschichte der ,,Feuerbach-Manuskripte Die Editionsgeschichte der ,,Feuerbach-Manuskripte``

Einleitung

Ein Vortrag über die Editionsgeschichte der sogenannten ,,Deutschen Ideologie`` von Marx und Engels nimmt sich auf den ersten Blick etwas seltsam aus in einer Veranstaltungsreihe mit dem Obertitel ,,Geschichte nach Auschwitz``. Was können Manuskripte, die in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verfaßt worden sind, mit der Veränderung des Geschichtsverständnisses zu tun haben, das uns die Vernichtung der europäischen Juden im zweiten Weltkrieg aufnötigt?

Leider mehr, als man wünschen möchte. In der Tat spiegeln sich in der Editionsgeschichte dieser Manuskripte die ganzen Probleme der marxistischen Bewegungen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, wobei das Scheitern im Kampf gegen den Nationalsozialismus mit eingeschlossen werden kann. Nicht daß ich mich zu der Behauptung versteigen will, durch eine angemessenere Interpretation der Marxschen Texte hätte die stalinistische Variante marxistischer Praxis verhindert werden können. Aber die stalinistischen Verzerrungen der Marxschen Theorie sind durchaus ein schlagender Beweis für Marx' Behauptung, daß der Sinn von Theorie sich nur im Zusammenhang mit der zugehörigen Praxis erschließt. Theorie und Praxis bilden im Stalinismus tatsächlich eine ,,dialektische Einheit``, insofern sich die falsche stalinistische Praxis genötigt sah, auch die Marxsche Theorie zu verfälschen.

Im folgenden wird es also um die Irrungen und Wirrungen von Marx' Theorie der geschichtlichen Entwicklung gehen, wie sie sich in der Editionsgeschichte eines zentralen Marxschen Manuskriptes, eben des sogenannten ,,Feuerbach-Kapitels`` der Deutschen Ideologie, widerspiegelt.

Dabei lassen sich folgende Phasen unterscheiden: Die erste Phase betrifft die Zeit bevor es den Marxismus überhaupt gab, die Zeit, in der Marx selbst noch lebte. Die zweite Etappe bezeichnet die Zeit zwischen Marx' Tod und dem ersten Weltkrieg, also den Marxismus der zweiten Internationale. Dann folgt die verworrene Zeit vom Ausbruch des ersten Weltkriegs bis zu den stalinistischen Säuberungen. Den Hauptteil des Vortrags wird dann das Schicksal des Manuskripts unter der Herrschaft Stalins ausmachen. Die der Tragödie folgende Farce bilden dann die Editionsarbeiten in der DDR nach Stalin, die sich bis in der Gegenwart fortsetzt.

Bevor ich aber diese Etappen und ihre historische Bedeutung im Detail beschreiben werden, möchte ich zunächst einige wenige Bemerkungen zu den Manuskripten, ihre Entstehung und ihren Gehalt machen, ohne die die Brisanz der Geschichte ihrer Edition kaum verständlich wird.

Die Entstehung der Feuerbach-Manuskripte

Menschen die sich nie oder nur oberflächlich mit der Marxschen Theorie beschäftigt haben, sind immer wieder verblüfft, daß Marx nie eine Theorie der Geschichte veröffentlicht hat. Was wir von einer übergreifenden Marxschen Theorie der Geschichte kennen, beschränkt sich zum allergrößten Teil auf unvollendete und unveröffentlichte Manuskripte, Bemerkungen in Briefen und Vorworten und ähnlich apokryphe Quellen. Dies ist, wie ich noch erklären werde, kein Zufall. Marx fehlte keineswegs die Muße, seine Theorie der geschichtlichen Entwicklung auszuarbeiten, sondern er hätte eine solche Theorie für überflüssig, wenn nicht gar schädlich gehalten. Dazu später mehr.

Doch es gibt, wie gesagt, eine Reihe unveröffentlichter Manuskripte, in denen Marx Ansätze zu einer solchen Geschichtstheorie entwickelt, wobei das Manuskript zum sogenannten ,,Feuerbach-Kapitel`` der Deutschen Ideologie eine prominenten Stelle einnimmt. Dieses ,,Feuerbach-Kapitel`` findet sich in Band 3 der Ost-Berliner Werkausgabe, der 1958 erstmals veröffentlicht und danach unzähliche Male nachgedruckt worden war und so etwas wie die Standardausgabe dieses Textes darstellt.

Wer diesen Text jedoch mit einer anderen Ausgabe vergleicht, etwa dem in der philosophischen Bibliothek Kröner publizierten, wird feststellen, daß die Texte nicht unerheblich voneinander abweichen.

Wie kann es zu derartigen Diskrepanzen bei einem offensichtlich für die Marxistische Doktrin so zentralen Text kommen? Ganz einfach: Es gibt diesen Text so überhaupt nicht. Was es stattdessen gibt sind eine ganze Reihe von Manuskripten in sehr unterschiedlichen Stadien der Ausarbeitung, die sich nicht nur formal, sondern durchaus auch inhaltlich widersprechen.

Schon der Titel Feuerbach ist irreführend, da die Bemerkungen über Feuerbach in diesem Text marginal sind. Nur wenn man den Entstehungskontext des Textes kennt, kann man überhaupt verstehen, worum es Marx und Engels damals ging.

Der historisch-politische Rahmen, in dem diese Manuskripte entstanden, war der Zerfall der junghegelianischen Bewegung, der Marx und Engels in den frühen 40er Jahren des 19. Jahrhunderts angehörten. Die Junghegelianer hatten zunächst die hegelsche Theorie zwar neu und radikal interpretiert, ihre wesentlichen Denkfiguren jedoch übernommen. Der Zerfall der junghegelianischen Bewegung führte dann dazu, daß auch die hegelianischen Grundlagen der Theorie in Frage gestellt wurden. Zu denjenigen, die den Hegelianismus als Last empfanden, gehörten dabei nicht nur Marx und in dessen Gefolge dann Friedrich Engels, sondern auch Ludwig Feuerbach und Max Stirner. Marx neigte zunächst der Position Ludwig Feuerbachs zu, ohne mit diesem völlig übereinzustimmen. Als konkurrierende Position wurde diejenige von Max Stirner angesehen, die in ihrem radikalen Individualismus dem politischen Aktionsmus von Marx diametral entgegenstand.

Der Entwurf Max Stirners stellte eine implizite Kritik auch von Marx dar, den er mit Ludwig Feuerbach in einen Topf warf. Das konnte Marx, der nie einem Streit aus dem Weg ging, nicht auf sich sitzen lassen, weshalb er zusammen mit Friedrich Engels eine eine fulminante, streckenweise witzige, aber insgesamt überlange Kritik an Max Stirner verfaßte. Im Rahmen dieser Kritik tauchte dann das Bedürfnis auf, die eigene Position, bezeichnen wie sie einmal mit dem etwas kontaminierten Begriff ,,historischer Materialismus``, eigenständig auszuarbeiten.

Dazu lösten sie aus bereits bestehenden Manuskripten, unter anderem eben der Stirner-Kritik, aber auch einer gleichzeitig entstandenen Kritik eines Aufsatzes von Bruno Bauer über Ludwig Feuerbach, Teile heraus, um sie zu einem eigenständigen Text über ihre Theorie der Geschichte umzuarbeiten. Diese Ausarbeitung wurde jedoch nie fertiggestellt. Zwar unternahmen sie mehrere Anläufe, doch das Projekt blieb, auch mangels einer Aussicht auf Publikation, in einer sehr frühen Phase stecken. Man kann sich das Chaos dieses Manuskriptkonvolutes lebhaft vorstellen.

Hinzukommt nun noch die spezielle Schreibtechnik von Marx und Engels in dieser Phase. Engels kam die Aufgabe zu, das gemeinsam Erarbeitete niederzuschreiben. Zu diesem Zweck wurde jede Manuskriptseite in zwei Spalten geteilt. Der eigentliche Text wurde in die linke Spalte geschrieben, später, bei der Überarbeitung wurden dann zusätzliche Abschnitte, Einfälle, Ideen in der rechten Spalte notiert. Wir haben es also selbst bei den einzelnen Manuskriptteilen nicht mit fortlaufenden Gedankengängen zu tun, sondern oft genug sind in der rechten Spalte Ergänzungen zu finden, deren Zuordnung zu einem stringenten Argumentationsgang nicht gerade einfach, wenn nicht gar unmöglich ist.

Man kann sich jetzt vielleicht vorstellen, vor welch einer Sisyphosaufgabe jeder Herausgeber dieses Manuskriptkonvolutes steht. Umso erstaunlicher ist es, daß die gängigen Ausgaben dieses Textes munter einen scheinbar fortlaufenden Text vorlegen, der zwar, wie es scheint, einige Lücken aufweist, ansonsten aber durchaus dem Anspruch einer stringenten theoretischen Entwicklung genügt. Angesichts der eben geschilderten Manuskriptlage ist diese Prätention offenkundig lächerlich.

Es ist kein Zufall, daß uns die Manuskripte in einem derartig unfertigen Zustand überliefert sind. Es sind keineswegs nur äußere Umstände, die die Fertigstellung der Publikation verhindert haben. Der fragmentarische Charakter der Darstellung ist vielmehr inhaltlich begründet. Will man einen gemeinsamen Nenner aus den verstreuten Marxschen Äußerungen zu seiner Geschichtsauffassung herausdestillieren, dann ist es dieser: Gegen alle anderen hegelianischen, junghegelianischen und posthegelianischen Strategien vertreten Marx und Engels einen strikt antimetaphysischen historischen Nominalismus. Das heißt, sie lassen keinerlei historische Allgemeinheiten zu, sondern beharren darauf, daß nur die konkrete Untersuchung geschichtlich gegebener Verhältnisse einer Überwindung der gegebenen gesellschaftlichen Misere dienlich sein kann. Selbst ein so harmloser Begriff wie ,,die Geschichte`` wird von ihnen als ideologisch verworfen; es gibt nur die konkrete Geschichte aktiv ihre Umwelt verändernder Menschen, keineswegs eine allgemeine Geschichte an sich.

Dieser radikale Nominalismus führt dann dazu, daß das Projekt einer allgemeinen Geschichtstheorie, in der dieser nominalistische Geschichtsbegriff entwickelt werden soll, ein Paradoxon darstellt: Wie soll man eine allgemeine Theorie der geschichtlichen Entwicklung formulieren, wenn man selbst den Begriff der Geschichte als untaugliches Abstraktum verwirft? Noch dreißig Jahre nach den ,,Feuerbach``-Manuskripten polemisiert Marx ausdrücklich gegen den ,,Universalschlüssel einer allgemeinen geschichtsphilosophischen Theorie, deren größter Vorzug``, wie er sarkastisch bemerkt, ,,darin besteht, übergeschichtlich zu sein.``1 Es ist somit kein Wunder, daß das Projekt einer systematischen Darstellung der Marxschen Geschichtstheorie nie zum Abschluß gebracht wurde. Und Marx konnte später durchaus ruhigen Gewissens schreiben:

,,Wir überließen das Manuskript der nagenden Kritik der Mäuse um so williger, als wir unsern Hauptzweck erreicht hatten - Selbstverständigung.``2
Die Manuskripte verschwanden in der Versenkung, während sich Marx und Engels praktischeren Aufgaben zuwandten.

Als sich Marx, eine gescheiterte Revolution und zehn Jahre später wieder explizit theoretischen Arbeiten zuwandte, nämlich seiner Kritik der Politischen Ökonomie, unterzog er den radikalen Nominalismus des ersten Versuches einer ,,materialistischen Geschichtsauffassung`` einer Revision. Unter dem Eindruck einer erneuten Lektüre der Hegelschen Logik wurde der strikt anti-dialektische Charakter des frühen geschichtstheoretischen Entwurfs gemildert. Die Dialektik bekam nun ihr partielles Recht zugestanden, wovon das Marxsche Hauptwerk, seine Kritik der politischen Ökonomie, Zeugnis ablegt. Die alten, nun auch theoretisch überholten Manuskripte, gerieten in Vergessenheit.

Der Geschichtsbegriff der II. Internationale

Erstmals wieder Interesse weckten diese Manuskripte, als die deutsche Arbeiterbewegung in Form der sozialdemokratischen Partei zu einer politisch nicht zu unterschätzenden Macht wurde. Der alte Friedrich Engels hatte nach Marx' Tod, als die deutsche Sozialdemokratie anfing, sich immer stärker auf die theoretischen Ergebnisse von Marx zu berufen, die Aufgabe übernommen, die Theorien des verstorbenen Freundes zu popularisieren. In einer Reihe von Artikeln und Artikelserien für Die neue Zeit, dem Theorieorgan der Sozialdemokratie, schilderte er unter anderem auch die Entstehung der materialistischen Geschichtsauffassung. Für unseren Zusammenhang besonders interessant ist die Artikelserie Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, die 1888 auch separat als Broschüre publiziert wurde.

In dieser kurzen Schrift erzählte Engels für ein breites Publikum, wie die materialistische Geschichtsauffassung aus dem Nährboden der Hegelschen Philosophie herauswuchs, und welche Rolle Feuerbach bei diesem Übergang spielte. Dieser Text blieb bis zum ersten Weltkrieg der kanonische Text dafür, wie denn das Verhältnis der Marxschen Theorie zur Dialektik Hegels zu denken sei. Daß Engels' Text den eigentlichen Sachverhalt nicht nur nicht traf, sondern tatsächlich ins Gegenteil verkehrte, ist für die Editionsgeschichte nicht so sehr von Belang; wichtiger ist eine kurze Bemerkung im Vorwort. Engels schrieb damals:

,,Ehe ich diese Zeilen in die Presse schicke, habe ich das alte Manuskript von 1845/46 nochmals herausgesucht und angesehn. Der Abschnitt über Feuerbach ist nicht vollendet. Der fertige Teil besteht aus einer Darlegung der materialistischen Geschichtsauffassung, die nur beweist, wie unvollständig unsre damaligen Kenntnisse der ökonomischen Geschichte noch waren.``3
Dieses niederschmetternde Verdikt über die Feuerbach-Manuskripte sorgte dafür, daß von Seiten der Marxisten kein großes Interesse daran bestand, die Texte der nagenden Kritik der Mäuse zu entreißen. Tatsächlich bestand damals in marxistischen Kreisen keinerlei Bedarf an einer allgemeinen marxistischen Geschichtstheorie, umso mehr aber an konkreten geschichtlichen, ökonomischen und politischen Untersuchungen.

Prominentes Beispiel in dieser Hinsicht war der junge Lenin. Gegen den Vorwurf des Marxkritikers Michailowski, der beklagt hatte, daß Marx und Engels ihre geschichtsphilosophischen Ansichten nie in der nötigen Klarheit und Deutlichkeit publiziert hatten, lobt Lenin dieses Vorgehen ausdrücklich:

,,Der Entschluß von Marx und Engels, die geschichtsphilosophische Arbeit nicht zu veröffentlichen und alle Kräfte auf die wissenschaftliche Analyse einer bestimmten gesellschaftlichen Organisation zu konzentrieren, kennzeichnet lediglich ein Höchstmaß an wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit.``4
Die Marxsche Theorie sollte an ihren Ergebnissen gemessen werden, nicht an der zweifelhaften Stringenz einer geschichtsphilosophischen Metatheorie. Verständlich wird dieses Desinteresse an der allgemeinen philosophischen Grundlegung der materialistischen Geschichtskonzeption, wenn man es im Rahmen der Theorievorstellungen betrachtet, wie sie in der zweiten Internationale gängig waren. Die verhältnismäßig unreflektierte Begeisterung für die Ergebnisse der positiven Wissenschaften ließ allgemeine Überlegungen, wie denn das Verhältnis der menschlichen Gesellschaft zur umgebenden Natur und die geschichtliche Modifikation dieses Verhältnisses zu denken sei, überhaupt nicht zu. Eine allgemeine Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung ist für die Theoretiker der zweiten Internationale immer nur als durch Induktion gewonnen denkbar. Jede andere Vorstellung von theoretischer Arbeit galt als Metaphysik. So schrieb Lenin:

,,Mit den Fragen beginnen, was Gesellschaft, was Fortschritt sei, das hieße doch mit dem Ende beginnen. Woher sollte der Begriff der Gesellschaft und des Fortschritts im allgemeinen genommen werden, wenn noch keine Gesellschaftsformation im besonderen erforscht worden ist [ ...]? Das ist ja das anschaulichste Kennzeichen der Metaphysik, mit der jede Wissenschaft begonnen hat: solange man es nicht verstand, an die Untersuchung der Tatsachen zu gehen, stellte man stets a priori allgemeine Theorien auf, die stets unfruchtbar blieben.``5
Im Rahmen dieser naiv unterstellten ,,Tatsachenforschung``, die wesentlich die Wissenschaftlichkeit des ,,historischen Materialismus`` begründen sollte, ist das Engelsche Diktum über die Feuerbach-Manuskripte natürlich niederschmetternd. Wenn die ,,ökonomischen Fakten`` nicht richtig waren, was sollten dann allgemeine Spekulationen über das, was Gesellschaft oder Fortschritt sei, von irgendwelchem Wert sein?

Angesichts dieser in der Arbeiterbewegung vor dem ersten Weltkrieg über alle Fraktionen hinweg vorherrschenden Wissenschaftsauffassung hatten die ,,Feuerbach``-Manuskripte kaum eine Chance, das Licht der Öffentlichkeit zu erblicken. Kein Wunder also, daß Franz Mehring, als er ab 1898 im Auftrag der Sozialdemokratischen Partei eine Edition der Marx/Engelsschen Frühschriften von 1841 bis 1850 vorbereitete, diesen unpublizierten Manuskripten wenig Aufmerksamkeit schenkte. Mehring erachtete von allen bislang ungedruckten Manuskripten allein Marx' Doktordissertation für Wert, in die drei Bände der sogenannten Nachlaßausgabe aufgenommen zu werden.6 Und so machte Mehring zwar eine Menge längst vergriffener Schriften von Marx und Engels dem interessierten Publikum wieder zugänglich, Die Deutsche Ideologie schlummerte jedoch weiter im von Eduard Bernstein verwalteten Nachlaß Friedrich Engels'.

Es ist allerdings nicht so, daß sich Mehring nicht um die Manuskripte bemüht hätte. Rjasanow berichtete 1923:

,,Mehring hat denn auch versucht, das Manuskript zu erlangen. Er erbat es von Bernstein. [ ...] Bernstein bemühte sich auszuweichen, was ihm aber nicht ganz gelang. Um Mehring loszuwerden, gab er ihm ein kleines Manuskript über Bruno Bauer - jenes Manuskript des Leipziger Konzils, und auf Grund dieses Abschnittes der Deutschen Ideologie` kam Mehring zum Schluß: das ganze Werk sei eigentlich auch nicht viel wert. Letzten Endes hätte er erklären müssen: man gibt mir nicht die Möglichkeit, den literarischen Nachlaß so herauszugeben, wie es sich gehört, die Leser müssen das mit in Kauf nehmen.``7
Über die Bernsteins Gründe für dieses Verhalten läßt sich nur spekulieren: Rjasanow vermutete, daß politische Differenzen zwischen dem Cheftheoretiker des Revisionismus und dem eher linken Mehring eine Rolle spielten. Stellt man jedoch den bekannten streitsüchtigen Charakter Mehrings in Rechnung, kommen genauso gut ganz persönliche Gründe in Frage. Was immer der Grund für Bernstein gewesen sein mag: In der Mehringschen Nachlaß-Ausgabe, die für lange Jahre die Standardedition der Marx-Engelsschen Frühschriften blieb, wurden die Feuerbach-Manuskripte nicht publiziert.8

Der Marxismus der zwanziger Jahre

Der erste Weltkrieg stellt den wohl bedeutendsten Einschnitt in der Geschichte des Marxismus dar. Für die Theoriegeschichte des Marxismus ist in diesem Zusammenhang vor allem entscheidend, daß die Kriegsgegnerschaft einen nicht unbeträchtlichen Teil der jungen bürgerlichen Intelligenz in das Lager des Marxismus trieb. Waren die Intellektuellen der Vorkriegs-Sozialdemokratie vor allem vom Journalismus hergekommen, liefen in der Zeit während und unmittelbar nach dem Krieg gut ausgebildete bürgerliche Intellektuelle zum Marxismus über. Mit Georg Lukács, Karl Korsch, Karl August Wittfogel - um nur ein paar Namen zu nennen - wurde die marxistische Theoriediskussion auf ein theoretisches Niveau gehoben, das sie nie zuvor hatte und auch später nie wieder erreichen sollte.

Dank dieser Debatten änderte sich das Wissenschaftsverständnis des Marxismus grundlegend. Bemühten sich die Vorkriegstheoretiker vor allem darum, die Kompatibilität des Marxismus zur bürgerlichen Wissenschaft zu betonen, trat der Marxismus nun in Konkurrenz zu den bürgerlichen Sozialwissenschaften. Fragen der marxistischen Methodik wurden zentral, je mehr man versuchte, sich von der neuen Wissenschaft der Soziologie abzugrenzen. So konnte Lukács in Geschichte und Klassenbewußtsein schreiben:

,,Orthodoxer Marxismus bedeutet [ ...] nicht ein kritikloses Anerkennen der Resultate von Marx' Forschung, bedeutet nicht einen Glauben` an diese oder jene These, nicht die Auslegung eines heiligen` Buches. Orthodoxie in Fragen des Marxismus bezieht sich vielmehr aussschließlich auf die Methode.``9
Vergleicht man dies mit den vorhin von Lenin zitierten Äußerungen, kann man den Graben ermessen, der diese jungen Intellektuellen von der Vorkriegssozialdemokratie trennte. Und daß nun Texten zur Marxschen Methodik ein ganz neuer Stellenwert zukam, versteht sich von selbst.

Diesem subjektiven Bedürfnis korrespondierte eine ganz neue institutionelle Verankerung der marxistischen Theorieproduktion. Anfang der zwanziger Jahre wurde in der jungen Sowjetunion eine Institution gegründet, die in der Lage war, die erste wissenschaftliche Ausgabe der Werke von Marx und Engels in Angriff zu nehmen.

Eine solche Ausgabe war schon vor dem ersten Weltkrieg diskutiert worden. Im Januar 1911 hatte in Wien ein Treffen stattgefunden, wo zum ersten Mal der Plan einer textkritischen Marxausgabe skizziert wurde. Daß dieses Treffen in Wien stattfand, war kein Zufall: Die österreichische Sozialdemokratie verfügte mit den sogenannten Austromarxisten wohl als einzige Sektion der internationalen Sozialdemokratie über eine Gruppe von Theoretikern, die eine solide wissenschaftliche Ausbildung nachweisen konnten. Neben den Austromarxisten Max Adler, Otto Bauer, Adolf Braun, Rudolf Hilferding und Karl Renner nahm an der Wiener Konferenz David Rjasanow teil, der für die spätere Geschichte der Marxeditionen eine Schlüsselrolle spielen sollte. Der auf dieser Konferenz ausgearbeitete Editionsplan sah dann vor, ,,eine allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende, absolut vollkommene, systematisch geordnete, mit den Manuskripten verglichene, mit Einleitungen und umfangreichen Registern versehene Gesamtausgabe der Werke von Marx zu veranstalten.``10

Doch wer hätte damals eine solche Edition finanzieren sollen? Die SPD war nicht interessiert. In deren Horizont paßte allenfalls eine ,,populäre`` Ausgabe nach Art der späteren MEW.11 Andere Arbeiterparteien waren entweder nicht so finanzkräftig wie die SPD oder zu wenig marxistisch ausgerichtet. Daß gar eine wissenschaftliche Akademie sich um eine solche Gesamtausgabe verdient machen könnte, war damals völlig undenkbar. Und so verblieben die unveröffentlichten Manuskripte bis auf weiteres im Parteiarchiv.

Mit der veränderten Situation nach dem ersten Weltkrieg sollte sich dies ändern. Die ,,proletarische`` Machtübernahme in Rußland schuf unter anderem auch die materiellen Bedingungen dafür, daß eine wissenschaftlichen Maßstäben genügende Edition der Werke von Marx und Engels überhaupt finanzierbar war. Im Dezember 1920 wurde in Moskau die Gründung eines Marx-Engels-Instituts beschlossen.12 Direktor dieses Instituts wurde der schon an der Wiener Konferenz beteiligte David Rjasanow.13

Schon vor dem ersten Weltkrieg galt Rjasanow, der eigentlich David Borissowitsch Goldendach hieß, als der kompetenteste Marx-Engels-Forscher seiner Zeit. 1909 hatte er sich zum ersten Mal hervorgetan, als er eine gründliche Studie mit dem Titel Karl Marx über den Ursprung der Vorherrschaft in Rußland in Europa veröffentlichte.14

Diese Arbeit zeichnete sich vor allem dadurch aus, daß sie frei war von jeder Marx-Idolatrie. Hier wurde nicht in Marxschen Schriften nach ,,Textstellen`` gesucht, die fein säuberlich zusammengetragen den ,,marxistischen`` Standpunkt zur Geschichte und Entwicklung Rußlands bilden sollten; vielmehr entwickelte Rjasanow die Marxschen Ansichten über Rußland im Lichte der sozialen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts. Daß Marx in dieser im besten Sinne des Wortes marxistischen Darstellung seiner Theorie einige Federn lassen mußte, versteht sich von selbst. Im wesentlichen betrieb Rjasanow hier schon das, was Karl Korsch nach dem ersten Weltkrieg fordern sollte, nämlich die Anwendung der materialistischen Geschichtsauffassung auf die Marxsche Theorie selbst.

Ein solch engagierter Marxist, der sich trotzdem eine objektive Distanz zu seinem Gegenstand bewahren konnte, war als erster Direktor der Marx-Engels-Instituts ein absoluter Glücksgriff. Bis zum Kollaps des sogenannten real existierenden Sozialismus lebte die gesamte Marx-Engels-Forschung dieser Länder von den Zinsen des Kapitals, das Rjasanow in den zwanziger Jahren zusammentragen hatte.

Faktisch eröffnet wurde das Marx-Engels-Institut in Moskau am 1. Juni 1922. Ab Herbst 1923 machten sich die Mitarbeiter des Instituts daran, alle Manuskripte von Karl Marx und Friedrich Engels, die zum größten Teil im Archiv der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands lagerten, zumindest als Photokopien in Moskau zur Hand zu haben. 1930 konnte das Archiv des Marx-Engels-Instituts stolz 55000 Photokopien von Originalmanuskripten vorweisen.15

Ab 1926 begann die Publikationstätigkeit des Instituts. Wegweisend war zunächst die Zeitschrift Marx-Engels-Archiv, von der eine russische und eine deutsche Ausgabe veröffentlicht wurden. Ganz zurecht urteilte der erste Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, Carl Grünberg, über das Erscheinen des ersten Bandes des Marx-Engels-Archivs:

,,Was aber das Marx-Engels-Archiv anbelangt, so stellt es sich zweifellos mit seinem ersten Bande in die vorderste Reihe der deutschen wissenschaftlichen Periodika und wird auf dem Gebiete der Marxforschung unbestritten die führende Rolle übernehmen und behaupten, wenn die nachfolgenden Bände dem vorliegenden ersten gleichen.``16
Im ersten Band dieser Zeitschrift erschien 1926, achtzig Jahre nach der Niederschrift, endlich die erste und bis heute konzeptionell beste Edition der Feuerbach-Manuskripte.

Was zeichnet diese erste Ausgabe der Feuerbach-Manuskripte vor allen anderen Editionen aus? Zum einen hält sie deutlich auseinander, was ursprünglicher Text ist und was nachträgliche Einfügung. Zum zweiten unterscheidet sie direkt im Text zwischen der Engelsschen und der Marxschen Handschrift. Und drittens trennt sie deutlich zwischen den einzelnen Manuskripten. Keine spätere Edition erfüllt alle diese drei, für eine vernünftige Arbeit mit dem Text unerläßlichen Bedingungen.

Rjasanows Ausgabe zeigt recht deutlich, daß der sogenannte ,,historische Materialismus`` keineswegs, wie der alte Engels geschrieben hatte17,im Frühjahr 1845, als er sich mit Marx traf, von diesem bereits fertig ausgearbeitet war und nur noch auf die entsprechenden Gegenstände angewandt werden mußte. Vielmehr dokumentierte der Zustand des Manuskriptes, daß nur in mühsamer Auseinandersetzung - vor allem mit Max Stirner - die Grundlagen der Marxschen Geschichtstheorie entwickelt wurden. Und sie macht auch deutlich, daß die stringente Ausarbeitung einer geschichtlichen Metatheorie namens ,,historischer Materialismus`` 1846 unterblieb.

Allerdings hat die Pionierarbeit Rjasanows leider auch zwei Schönheitsfehler, die ihre Brauchbarkeit, trotz der richtigen editorischen Richtlinien, ziemlich einschränkt. Zum einen ist der Text nicht vollständig, da ein Teil des Manuskripts erst Anfang der sechziger Jahre im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam entdeckt wurde. Außerdem leidet die Ausgabe an einer ganzen Reihe von Entzifferungsfehlern, die im wesentlichen darauf zurückzuführen sind, daß den Herausgebern nur verhältnismäßig schlechte Photokopien zur Verfügung standen.

Ironie des Schicksals ist es, daß diese bislang beste Edition eigentlich nur provisorischen Charakter hatte. Rjasanow war sich im Gegensatz zu den sozialdemokratischen Nachlaßverwaltern bewußt, welch herausragende Bedeutung die Publikation der Feuerbach-Manuskripte besaß, weshalb er den Text schnellstmöglich veröffentlich haben wollte. Die eigentlich wissenschaftliche Edition der Manuskripte sollte der vom Institut vorbereiteten Marx-Engels-Gesamtausgabe vorbehalten bleiben, die das Institut ab 1927 zu publizieren begann.

Leider blieb das Provisorium der Rjasanowschen Edition auf lange Zeit die beste Ausgabe des Textes, denn bevor in Band I/5 der MEGA(1) eine verbesserte Ausgabe erscheinen konnte, begannen die stalinistischen Säuberungen. Da dies für die heute gebräuchliche Ausgabe der ,,Feuerbach``-Manuskripte in MEW, Bd. 3 von außerordentlicher Wichtigkeit ist, soll auf die historischen Umstände, unter denen die MEGA(1) entstanden ist, etwas ausführlicher eingegangen werden.

Stalin und die MEGA(1)

Bereits Anfang der 30er Jahre hatte der erste Fünfjahresplan aufgrund völlig unrealistischer Planvorgaben die Sowjetunion in eine Katastrophe getrieben. Selbst unter linientreuen Kommunisten stieß Stalins forcierte industrielle Entwicklung auf Kritik. In einem Aufruf des oppositionellen ,,Bundes der Marxisten-Leninisten`` innerhalb der Partei hieß es damals:

,,Das abenteuerliche Tempo der Industrialisierung, das einen immensen Abbau des Reallohnes der Arbeiter und Angestellten sowie untragbare, offene und verdeckte, Steuern, Inflation, Preisanstieg und Geldentwertung zur Folge hatte, die abenteuerliche Kollektivierung durch beispiellose Gewalt, Terror, Entkulakisierung`, die faktisch vor allem gegen die Masse der Klein- und Mittelbauern auf dem Dorf gerichtet war, und letztlich die Expropriation des Dorfes durch verschiedene Abgaben und Pflichtablieferungen brachten das ganze Land in eine tiefe Krise, führten zu ungeheurer Verelendung der Massen und sowohl im Dorfe als auch in der Stadt zu einer Hungersnot.``18
Von all diesen Problemen war jedoch in Stalins Rechenschaftsbericht an den XVII. Parteitag (Januar 1934) nichts zu hören. Hier verkündete Stalin:

,,Gesiegt hat die Politik der Industrialisierung des Landes. Ihre Ergebnisse sind heute für jedermann offenkundig. Was kann man gegen diese Tatsache einwenden? Gesiegt hat die Politik der Liquidierung des Kulakentums und der durchgängigen Kollektivierung. Ihre Ergebnisse sind ebenfalls für jedermann offenkundig. Was kann man gegen diese Tatsache einwenden? Auf Grund der Erfahrungen unseres Landes ist bewiesen worden, daß der Sieg des Sozialismus in einem einzelnen Lande durchaus möglich ist. Was kann man gegen diese Tatsache einwenden? Es ist offenkundig, daß alle diese Erfolge und vor allem der Sieg des Fünfjahresplans alle und jegliche antileninistischen Gruppierungen vollständig demoralisiert und aufs Haupt geschlagen haben. Man muß feststellen, daß die Partei jetzt einheitlicher und geschlossener dasteht wie nie zuvor. (Stürmischer, lang anhaltender Beifall)``19
In der Tat waren in den letzten drei Jahren ,,alle und jegliche antileninistischen Gruppierungen vollständig demoralisiert und aufs Haupt geschlagen`` worden, aber nicht durch die offenkundigen Erfolge des ersten Fünfjahresplans, sondern durch die erste Welle terroristischer Schauprozesse. Da die KPdSU(B) unter Stalin nicht mehr in der Lage war, die objektiven Schwierigkeiten zu beseitigen, mußten alle diejenigen beseitigt werden, die diese Schwierigkeiten aussprachen. Stalin formulierte dies in seinem Rechenschaftsbericht erstaunlich offen:

,,In Wirklichkeit wurde der Sieg erreicht und errungen durch systematischen und harten Kampf gegen Schwierigkeiten aller Art, die der Durchführung der Parteilinie im Wege standen [ ...]. Was sind das für Schwierigkeiten und wo stecken sie? Diese Schwierigkeiten sind Schwierigkeiten unserer Organisationsarbeit, Schwierigkeiten unserer organisatorischen Leitung. Sie stecken in uns selbst, in unseren leitenden Funktionären, in unseren Organisationen, in dem Apparat unserer Partei, Sowjet-, Wirtschafts-, Gewerkschafts-, Komsomol- und verschiedener anderer Organisationen.``20
Das eigentliche Problem war auf einmal nicht mehr der faktische Wahnwitz des Fünfjahresplanes, sondern diejenigen, die daran scheiterten, das Unmögliche wahr zu machen. Und damit begründete Stalin schließlich

,,die Entfernung aller, die die Beschlüsse der Partei und der Regierung verletzen, sowie der Schönfärber und Schwätzer von ihren Posten und ihre Ersetzung durch neue Menschen, durch Menschen der Tat, die fähig sind, die konkrete Leitung der ihnen übertragenen Arbeit und die Stärkung der Partei- und Sowjetdisziplin zu gewährleisten; [ ...] schließlich die Reinigung der Partei von unzuverlässigen und entarteten Leuten.``21
Dies beschränkte sich nicht allein auf die Parteilinie, insofern es um den eigentlich produktiven Sektor ging, sondern auch auf Fragen der Ideologie. Abweichende Meinungen, was die ,,Grundlagen des Marxismus-Leninismus`` betraf, wurden ebenso verfolgt wie Kritik an den ökonomischen Planzielen. Den Startschuß hierfür gab Stalin in einem Brief an die Redaktion der Zeitschrift Proletarskaja Rewoluzija. Diese hatte einen Diskussionsartikel veröffentlicht, in dem nur die Frage gestellt wurde, ob Lenin vielleicht den Opportunismus der Zentrumsfraktion in der SPD vor dem ersten Weltkrieg unterschätzt hätte.22 Anders ausgedrückt: Es wurde an einem konkreten Fall ausgesprochen, daß Lenin möglicherweise einmal eine politische Fehleinschätzung unterlaufen war. Dies durfte natürlich nicht sein, und so dekretierte Stalin in seinem Brief:

,,Sie beabsichtigen, die Leute von neuem in eine Diskussion hineinzuziehen über Fragen, die Axiome des Bolschewismus sind. Das bedeutet, daß Sie sich neuerlich mit der Absicht tragen, die Frage des Bolschewismus Lenins aus einem Axiom zu einem Problem zu machen, das der weiteren Bearbeitung` bedürfe.``23
Dabei wollte der Autor des Artikels noch nicht einmal Lenin eine Fehleinschätzung nachweisen, sondern er behauptete nur, es gäbe nicht genügend Dokumente, die Lenins eisernen Kampf gegen jede Spielart des Opportunismus belegen würden. Stalins Entgegnung darauf machte jeder weiteren, auch nur halbwegs objektiven Forschung den Garaus:

,,Bedeutet dies, daß das Vorhandensein papierner Dokumente allein genügt, um das wahrhaft revolutionäre Wesen und die wirkliche Unversöhnlichkeit der Bolschwiki gegenüber dem Zentrismus zu demonstrieren? Wer, außer hoffnungslosen Bürokraten, kann sich auf papierne Dokumente allein verlassen? Wer, außer Archivratten, begreift nicht, daß Parteien und Führer vor allem auf Grund ihrer Taten geprüft werden müssen und nicht nur auf Grund ihrer Deklarationen?``24
Damit war die absolute Schwundstufe des Marxismus-Leninismus erreicht: Als korrekte politische Linie gilt, was die Führer der Arbeiterbewegung gerade dekretieren. Die Marxsche Theorie gilt nicht länger als theoretischer Bezugsrahmen, ja sie hat nicht einmal mehr legitimatorische Funktion. Wahr im Sinne des Marxismus-Leninismus-Stalinismus sind allein die Intuitionen genialer Führer. Nun, diese genialen Intuitionen kosteten Millionen das Leben und hätten beinahe zum endgültigen Triumph des Nationalsozialismus geführt.

Dieses eigentümliche Verhältnis des Marxismus-Leninismus zur Wahrheit, wie es von Stalin dekretiert wurde, besiegelte selbstverständlich das Schicksal der Marx-Engels-Gesamtausgabe, des Marx-Engels-Instituts und seines Direktors Rjasanow:

,,Bereits zu Beginn des Jahres 1930 hatte eine neue Riege von Ideologen, die sich als Bolschewisierer der marxistischen Philosophie` verstanden, die Arena betreten. Nach nur kurzen Auseinandersetzungen gelangten die philosophischen Vollmachten in die Hände des Generalsekretärs. Am 9. Dezember 1930 stellte Stalin in einem Gespräch mit Hörern des Instituts der Roten Professur (IKP) bei namentlicher Nennung Rjasanows die Aufgabe, die gesamte Kritik zu entfalten. Schlagen, das ist das Hauptproblem. Schlagen in alle Richtungen, auch dort, wo bisher nicht geschlagen wurde.` In diesem Sinne eröffnete die Prawda` am 15. Januar 1931 die Angriffe auf Rjasanow.``25
Am 13. Februar 1931 wurde das Marx-Engels-Institut durch die GPU besetzt und drei Wochen lang durchsucht.26 Rjasanow wurde verhaftet, aus der Partei ausgeschlossen und nach Saratow verbannt. Zwar konnte er dort als Bibliotheks-Mitarbeiter weiterarbeiten, hatte aber Publikationsverbot und wurde ständig schikaniert. 1937 verhafteten ihn Stalins Büttel erneut und stellten ihn vor Gericht:

,,Am 19. Januar 1938 wurde Rjasanow die Anklageschrift, die ihn der konspirativen Verbindung zu einer imaginären antisowjetischen, rechtstrotzkistischen Organisation` beschuldigte, zugestellt. Am 21. Januar fand vor dem Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR die Verhandlung statt. Insgesamt fünfzehn (!) Minuten - einschließlich Beratung der Richter und Urteilsverkündung - benötigte das Gericht, um Rjasanows Todesurteil und die Konfiszierung seines Eigentums zu beschließen. Das Urteil wurde sofort im Anschluß vollstreckt.``27
Rjasanows nomineller Nachfolger auf dem Direktionsposten wurde Wladimir Adoratski. Tatsächlich hatte von nun an aber der stellvertretende Institutsdirektor Iwan P. Towstucha, Stalins Sekretär, die Fäden in der Hand.28 Damit war der Versuch, eine erste wissenschaftliche Marx-Engels-Ausgabe zu publizieren, bereits so gut wie gescheitert. Der letzte Band, der erschien, war Band 5 der ersten Abteilung, in dem zum ersten Mal die gesamte Deutsche Ideologie veröffentlicht wurde.

Diese Veröffentlichung ist außerordentlich paradox - insbesondere, was die Feuerbach-Manuskripte betrifft. Der eigentliche Text ist kaum mehr wiederzuerkennen. Für den Stalinismus war es natürlich unerträglich, wenn das Manuskript, in dem die ,,wissenschaftliche Weltanschauung des Proletariats`` begründet wurde, keine geschlossene, in sich stimmige ideologische Einheit bilden würde. Und so wurden die Feuerbach-Manuskripte ausgiebig ,,redigiert`` - d.h., die Herausgebergruppe der MEGA(1) mußte ohnmächtig zusehen, wie die ursprüngliche Gestalt der Manuskripte völlig unkenntlich gemacht wurde. Statt die Manuskripte einfach in Reihe abzudrucken, wurden sie völlig auseinandergerissen und wieder neu zusammengesetzt, um den Eindruck eines einheitlichen Textes zu erwecken. Ebenso wurde unkenntlich gemacht, was ursprünglicher Text in Engels' Handschrift ist, wo Engels selbst nachträgliche Einfügungen in die rechte Spalte geschrieben hatte, und was Marx' Überarbeitung entstammt.

Die einzige Möglichkeit für die alten Herausgebergruppe, gegen diese brachiale Verstümmelung des Textes anzugehen, blieb der Anhang der Textvarianten. Man muß den Mut desjenigen bewundern, der dem Textvariantenteil folgende Worte voransetzte:

,,Bei der Wiedergabe der ausgemerzten Teile des Textes hielten wir uns selbstverständlich an die Reihenfolge des Originals, nicht an die Form, die es infolge der Redigierung erhalten hat. Da dies für die Aufeinanderfolge nur der durch die Redigierung umgestellten Teile des Manuskripts I. Feuerbach` wesentlich ist, so wird der Leser die unvermeidliche Diskrepanz zwischen der Reihenfolge bei der Wiedergabe der durchgestrichenen Stellen und der Reihenfolge des redigierten Textes mit in Kauf nehmen müssen; diese Diskrepanz wird ihm zugleich ein Hilfsmittel sein, sich die Aufeinanderfolge der einzelnen Teile des ursprünglichen Manuskripts, die von der des redigierten abweicht, zu vergegenwärtigen.``29
Und so wurde mittels des Textvariantenapparates zumindest theoretisch die Möglichkeit geboten, sich die ursprüngliche Textgestalt zu rekonstruieren. Mit Hilfe dieses Apparats konnte auch wieder unterschieden werden, welche Textänderung von Marx, und welche von Engels vorgenommen wurde. Man kann diesen Band der MEGA(1) durchaus als ein kleines Symbol antistalinistischen Widerstandes werten.30 Diesen Mut brachten spätere Herausgeber, wie wir noch sehen werden, nicht mehr auf.

Der Textvariantenapparat, der die Edition der MEGA(1) überhaupt erst brauchbar machte, fiel dann nach dem zweiten Weltkrieg weg, als der ,,redigierte`` Text der Feuerbach-Manuskripte aus der MEGA(1) ohne Änderungen in die MEW-Ausgabe31 übernommen wurde. Bis heute gilt diese Edition auch im Wissenschaftsbetrieb als die gebräuchliche Ausgabe der Manuskripte.

Der post-stalinistische Staatssozialismus

Die Editionsgeschichte ist damit allerdings längst noch nicht beendet. Als kleines, sympathisches Intermezzo im weiteren Trauerspiel ist Siegfried Bahnes Veröffentlichung ,,Die deutsche Ideologie`` von Marx und Engels. Einige Textergänzungen32 zu nennen. Anfang der 60er Jahre waren im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam im Nachlaß von Bernstein einige der Deutschen Ideologie zugehörige Manuskriptblätter gefunden worden. Bahne veröffentlichte den Text der drei Manuskriptseiten zusammen mit einer kleinen Einleitung.

Obwohl Bahnes Einleitung denkbar knapp ist, muß ihr uneingeschränktes Lob gezollt werden. Einerseits enthält sie eine umfassende Bibliographie zur bisherigen Editionsgeschichte. Zudem weist Bahne als erster auf die Entzifferungsfehler der früheren Ausgaben hin:

,,Außerdem zeigte sich beim Vergleich zwischen Teilen des MEGA-Textes und des Manuskripts, daß zwischen beiden gelegentlich Differenzen bestehen, die z.T. darauf zurückzuführen sind, daß der Publikation des Moskauer Instituts Fotokopien zu Grunde lagen, so daß bei Faltungen im Papier Textverluste entstanden oder von Eduard Bernstein vorgenommene Änderungen (vor allem Streichungen) nicht von solchen der Verfasser zu unterscheiden waren.``33
Diese Hinweise aus dem Westen stellten natürlich eine Herausforderung an die selbsternannten historischen Erben von Marx im Osten dar. Vier Jahre später wurde in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie eine verbesserte Neuausgabe der gesamten Feuerbach-Manuskripte unter der Leitung von Dr. Inge Tilhein publiziert. Tilhein (später Taubert) sollte sich in den folgenden Jahrzehnten das Monopol auf die ,,Deutsche Ideologie`` innerhalb der DDR-Philosophie sichern.34 Von nun an dokumentierten die Editionen des Manuskriptes vor allem den bürokratischen Fleiß der Herausgeberin.

Es entzieht sich meiner Kenntnis - und ich will es ehrlich gesagt auch nicht wissen - wie sich diese Frau dazu qualifizierte, seit nunmehr fünfunddreißig Jahren an der Edition der Feuerbach-Manuskripte herumzustümpern. Ihre Hauptaufgabe sah sie offensichtlich darin, alle Bemerkungen zur möglichen Publikationsgeschichte des unpublizierten Manuskriptes zusammenzutragen, die sich in Briefen, Vorworten, Erinnerungen und so weiter finden ließen. Ihren preußischen Bienenfleiß dokumentierte sie bereits im Vorwort zur Ausgabe der Feuerbach-Manuskripte in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie. Für das Verständnis des Inhalts der Publikation ist ihre Einleitung jedoch - gelinde gesagt - wenig hilfreich.

Natürlich ist dies wiederum symptomatisch für den damaligen Zustand des Marxismus in der DDR. Einerseits war die Stalinsche Haltung des ,,Was Marxismus ist, bestimme ich`` so nicht mehr möglich. Andererseits bot die Marxsche Theorie nun einmal keinerlei Antworten auf die drängenden Fragen des sogenannten sozialistischen Aufbaus. Bestenfalls hatte der Marxismus noch legitimatorische Funktion: Die mehr oder minder ruhmreiche Vergangenheit der Arbeiterwegung und das Versprechen einer sozialistischen Zukunft dienten dazu, die erbärmliche Gegenwart erträglicher zu machen. Die Marxsche Theorie selbst wurde zum Archivgut herabgewürdigt, das phantasielosen aber linientreuen Nullen anvertraut wurde, von denen man sich sicher sein konnte, daß sie nie in ihrem Leben einen vernünftigen, geschweige denn einen subversiven Gedanken entwickeln würden. Philosophen hingegen, die einen lebendigen Marxismus vertraten, wurden mit Berufsverbot belegt und, im Falle Ernst Blochs etwa, außer Landes getrieben.

Tilheins Vorwort zu ihrer ersten Edition der ,,Feuerbach``-Manuskripte dokumentiert diese Sorte stillgestellten Marxismus' in Reinform. Am lustigsten wird es dort, wo sie auf die bisherigen Editionen des Manuskriptes eingeht. Es ist ein Genuß, zuzuschauen, wie sich Tilhein angesichts der offenkundig eklatanten Mängel der MEGA(1)-Ausgabe dreht und wendet. Immerhin dürfen Rjasanows Name und seine Edition im Marx-Engels-Archiv wieder erwähnt werden. Daß diese Ausgabe bislang die vernünftigsten Editionsrichtlinien besaß, wird zähneknirschend zugegeben, dann aber mit einer dummdreisten ML-Floskel die Edition beiseite gewischt: ,,Die Anordnung des Textes entsprach im großen und ganzen dem Manuskript, aber es gelang nicht, dieses richtige Prinzip konsequent durchzuführen.``35 Was immer das heißen soll ...

Im Gegensatz dazu wird an der ,,Redigierung`` des Textes in der MEGA(1) keinerlei Kritik geübt. Es wäre auch zu peinlich gewesen, hätte Tilhein zugeben müssen, daß der in der Marx-Engels-Werkausgabe publizierte Text kompletter Murx und ohne den kritischen Apparat der MEGA(1) völlig unbrauchbar ist. Trotzdem mußte natürlich irgendwie begründet werden, warum denn überhaupt eine Neuausgabe nötig war. Hier versteckte sich Tilhein dann hinter den Herausgebern einer 1965 in Moskau auf russisch publizierten Ausgabe:

,,Im Vorwort dieser Ausgabe stellt der Herausgeber fest, daß für die in der Ausgabe des Moskauer Instituts von 1932 vorgenommene Umstellung des Textes keine Notwendigkeit und ausreichende Begründung vorlagen, wie eine sorgfältige Überprüfung einer derartigen Umstellung sowie das weitere Studium des Manuskriptes und seines Inhalts ergaben.``36
Was an der Kritik der MEGA(1)-Ausgabe eingespart wurde, verteilt Tilhein dann umso großzügiger an die im Westen erschienene Landshut-Ausgabe.37

Trotzdem muß die Edition in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie leider als erste ansatzweise brauchbare Veröffentlichung des Textes angesehen werden. Zumindest werden jetzt die Manuskripte einigermaßen auseinandergehalten und die Entzifferung ist halbwegs zuverlässig.38 Natürlich kann diese Zeitschriftenveröffentlichung eine historisch-kritische Edition nicht ersetzen, aber als Studienausgabe ist dieser Text ganz brauchbar.

Ihr entscheidendes Manko liegt allerdings wieder darin, daß nicht unterschieden wird, was Engelsscher Grundtext, was nachträgliche Engelssche Hinzufügungen und was Marxsche Überarbeitungen sind. Die heilige Zweieinigkeit von Marx und Engels durfte unter keinen Umständen in Frage gestellt werden. Diese Neuedition dokumentiert zwar den unvollendeten, fragmentarischen Charakter dieser ersten Ausformulierung einer materialistischen Geschichtsauffassung und bringt erstmals einen zuverlässigen Text, doch das Grunddogma der völligen Übereinstimmung von Marx und Engels wird nicht in Frage gestellt.

Dieses falsche Prinzip wurde dann auch in der nächsten Edition konsequent weiter durchgeführt. 1972 erschien, weit über ein Jahrhundert nach der Abfassung der Manuskripte, erstmals eine Edition dieser Handschriften, mit der wirklich wissenschaftlich gearbeitet werden kann. Doch auch diese Ausgabe weist wieder Mängel auf. Am gravierendsten erweist sich, daß sie nicht zugänglich ist: Sie wurde im Probeband zur zweiten Marx-Engels Gesamtausgabe veröffentlicht, der nie in den Handel gelangte, sondern nur ausgewählten Wissenschaftlern für eine Beurteilung der Editionsgrundsätze zur Verfügung gestellt wurde.39

Ärgerlich ist bei dieser Ausgabe außerdem, daß sich die uns schon bekannte Frau Tilhein, inzwischen Frau Taubert und Sektionsleiterin des Instituts für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, zwar für einen zweispaltigen Druck entschieden hat, dann aber wieder den größten Teil der zusätzlichen Einfügungen aus der rechten Spalte in die linke eingearbeitet hat - verstehe das, wer wolle.

Und wie zu erwarten war, wird erneut nicht unterscheiden, was von Engels geschrieben und was von Marx bei seiner nachträglichen Überarbeitung eingefügt wurde. Nur anhand mühseligen Vergleichens mit dem allerdings sehr ausführlichen kritischen Apparat ist es möglich, dasjenige wieder zu trennen, was in einer historisch-kritischen Ausgabe nicht zusammengehört.

Nach dieser Veröffentlichung im Jahr 1972 existierte die DDR immerhin noch siebzehn Jahre. Man könnte nun glauben, daß es in dieser Zeit hätte möglich sein sollen, den entsprechenden Band der zweiten Marx-Engels-Gesamtausgabe zu publizieren und einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die Vorarbeiten waren ja schließlich weit genug gediehen. Doch als die Mauer fiel, waren zwar eine beeindruckende Zahl zum größten Teil herzlich überflüssiger Bände der MEGA(2) auf den Markt geworfen worden, die Manuskripte zur Deutschen Ideologie waren jedoch nicht dabei.

Nach dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialismus sah es zunächst so aus, als ob die MEGA(2) eingestellt werden würde. Schließlich fand sich aber ein internationales Herausgebergremium, das bereit war, die Edition fortzuführen. Und Frau Taubert durfte, als Belohnung für fünfundzwanzig Jahre Pfuscherei im Dienste des Sozialismus, weiter den Band I/5 der MEGA(2) betreuen, der die Manuskripte zur Deutschen Ideologie bringen soll.

Was soll man noch sagen? 1996 fand ein Spezialkonferenz zur ,,Konstitution der Deutschen Ideologie`` im Karl-Marx-Haus in Trier statt, bei der über die Schwierigkeiten der Edition diskutiert wurde. Wer die Nerven dazu hat, kann sich die Debatte in den MEGA-Studien von 1997 zu Gemüte führen. Der interessanteste Befund, den man dieser Debatte entnehmen kann, ist der, daß die Musealisierung der Marxschen Theorie offensichtlich vollständig abgeschlossen ist. Und was auch klar ist: Eine brauchbare Edition steht, selbst wenn der Band tatsächlich noch irgendwann erscheinen sollte, nicht in Aussicht.

Wieder soll im Haupttext eine ,,Fassung letzter Hand`` erscheinen und die Textentwicklung in den kritischen Apparat verbannt werden. Natürlich ist es ein schlechter Witz, beim Zustand der ,,Feuerbach``-Manuskripte überhaupt von einer Fassung letzter Hand zu reden. Da aber, wie Frau Taubert betont, die Editionsrichtlinien der MEGA(2) vorsehen, im Haupttext eine Fassung letzter Hand zu bringen, hat sie damit zweifellos das ultimative Argument an der Hand.40 Gegen ein halbes Jahrhundert Bürokratisierung des Marxismus ist kein Kraut gewachsen ...


Footnotes:

1Karl Marx, ,,Brief an die Redaktion der Otetschestwennyje Sapiski` ``, in: MEW, Bd.19, S.111.

2Karl Marx, ,,Zur Kritik der politischen Ökonomie``, in: MEW, Bd. 13, S. 10.

Marx behauptet an dieser Stelle übrigens: ,,Das Manuskript, zwei starke Oktavbände, war längst in seinem Verlagsort in Westphalen angelangt, als wir die Nachricht erhielten, daß veränderte Umstände den Druck nicht erlaubten.`` Dies kann sich nur auf die ausgearbeiteten und druckfertig gemachten Teile, insbesondere das Stirner-Kapitel beziehen. Die Idee zu einem einleitenden Teil, in dem die Geschichtstheorie eigenständig dargestellt werden sollte, kam wahrscheinlich erst nach dem Scheitern der ursprünglichen Publikationsidee auf.

3Friedrich Engels, ,,Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie``, in: MEW, Bd. 21, S. 264.

4W.I. Lenin, ,,Was sind die Volksfreunde` und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten?``, in: ders., Werke, Bd. 1, Berlin 1961, S. 139.

5Ebd., S. 135.

6,,Die Ausgabe Mehrings war im vollen Sinne des Wortes epochemachend für die Geschichte der Marxforschung. Vortreffliche Kommentare brachten zum erstenmal aus den verschiedensten Quellen das wichtigste Material für die Biographie von Marx und Engels. Das, was Mehring für seine vornehmste Aufgabe gehalten hatte - das historische Milieu, in dem Marx und Engels wirkten, zu schildern, Farbe und Ton der Zeit wieder heraufzubeschwören, worin diese Schriften einmal gelebt haben` - war ihm glänzend gelungen. Für den Zeitraum von 1841 bis 1850 galt bis vor kurzem die Mehringsche Ausgabe als das eigentliche Quellenwerk für die Kenntnis von Marx und Engels.`` (D. Rjasanow, ,,Vorwort zur Gesamtausgabe``, in: MEGA(1), Bd. 1, Frankfurt/Main 1927, S. IX-XXVII).

7D. Rjasanoff, ,,Neueste Mitteilungen über den literarischen Nachlaß von Karl Marx und Friedrich Engels``, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. XI (1925), S. 387.

8Vielleicht läßt sich der Grund, warum Bernstein das Manuskript der Deutschen Ideologie zurückhielt, ganz einfach angeben: Bernstein war selbst Herausgeber einer nicht gerade unbedeutenden Schriftenreihe mit dem Titel Dokumente des Socialismus. Und in dieser Reihe erschienen dann auch zum ersten Mal Teile der Deutschen Ideologie. Allerdings handelte es sich dabei nicht um die Feuerbach-Manuskripte. Was Bernstein publizierte waren Teile der Stirner-Kritik. Die Feuerbach-Manuskripte blieben bis zum ersten Weltkrieg der Öffentlichkeit vorenthalten.

9Georg Lukács, ,,Was ist Orthodoxer Marxismus?`` in: Ders., Geschichte und Klassenbewußtsein, Berlin 1923, S.13.

10Zit. nach Martin Hundt, ,,Gedanken zur bisherigen Geschichte der MEGA``, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung, Neue Folge, Heft 2 (1992), S. 61.

11So zumindest die wahrscheinlich richtige Einschätzung von Martin Hundt.

12Zum Marx-Engels-Institut siehe Franz Schiller, ,,Das Marx-Engels-Institut in Moskau``, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. XV (1930), S. 416-435.

13Zu Rjasanow vgl. Volker Külow und André Jaroslawski, David Rjasanow - Marx-Engels-Forscher, Humanist, Dissident, Berlin 1993.

14N. Rjasanoff, Karl Marx über den Ursprung der Vorherrschaft in Rußland, ( = Ergänzungshefte zur Neuen Zeit, Nummer 5), Stuttgart 1909.

15Franz Schiller, ,,Das Marx-Engels-Institut in Moskau``, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. XV (1930), S. 427.

16Carl Grünberg, ,,Marx-Engels-Archiv``, Rezension in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Bd. XII (1926), S. 463f.

17Friedrich Engels, Vorrede zum ,,Manifest der Kommunistischen Partei`` (englische Ausgabe von 1888), in: MEW, Bd.21, S.358.

18Bund der Marxisten-Leninisten, ,,An alle Mitglieder der KPdSU(B)``, zit. nach: Schauprozesse unter Stalin. 1932-1952, Berlin 1990, S. 25.

19J.W.Stalin, ,,Rechenschaftsbericht an den XVII. Parteitag``, in: Stalin, Werke, Bd. 13, Dortmund 1976, S. 308f.

20Ebd., S.324f.

21Ebd., S.327.

22In der Tat braucht man die Frage überhaupt nicht stellen - die Fehleinschätzung Lenins in Bezug auf die Zentrumsfraktion der deuschen Sozialdemokratie ist selbst bei oberflächlichster Kenntnis der Geschichte einfach offensichtlich. Bezeichnend hierfür ist die berühmte Anekdote, daß Lenin die Zeitung, in der die Zustimmung der deutschen Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten veröffentlicht wurde, für eine Fälschung der Polizei hielt, die die Arbeitermassen verwirren sollte.

23J.W.Stalin, ,,Über einige Fragen der Geschichte des Bolschewismus``, in: Stalin, Werke, Bd. 13, Dortmund 1976, S. 77.

24Ebd., S.86.

25Volker Külow und André Jaroslawski (Hg.), David Rjasanow - Marx-Engels-Forscher, Humanist, Dissident, Berlin 1993, S. 28f.

26Reinhard Müller (Hg.), Die Säuberung, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 135.

Wladislaw Hedeler, ,,Stalin und die Philosophen``, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Jg. 39 (1991), S. 530ff.

27Volker Külow und André Jaroslawski (Hg.), David Rjasanow - Marx-Engels-Forscher, Humanist, Dissident, Berlin 1993, S. 32f.

28Reinhard Müller (Hg.), Die Säuberung, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 135.

29Karl Marx, Friedrich Engels, MEGA(1), Abt.I, Bd. 5, S. 565.

30Martin Hundt berichtet, er bedurfte Anfang der fünziger Jahre als Student in Leizig ,,der besonderen schriftlichen Bitte eines besonders angesehen Professors, um die dunkelblauen Bände in der Universitätsbibliothek studieren zu dürfen.`` (Hundt, a.a.O., S. 63)

31Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Berlin 1958ff, Bd.3.

32S.Bahne, ,, Die deutsche Ideologie` von Marx und Engels. Einige Textergänzungen.``, in: International Review of Social History, Vol.VII (1962), S. 93-104.

33Ebd., S. 94.

34Zur Rolle der thematischen Monopole in der DDR-Philosophie vgl. Renate Wahsner, ,,Die vergessene Reflexion oder Wir, die wir alle Opfer waren - und ein kleines bißchen schuldig``, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Jg. 39 (1991), S. 563-571.

35Inge Tilhein, ,,Neuveröffentlichung des I. Bandes der ,,Deutschen Ideologie`` von Karl Marx und Friedrich Engels. Einleitung``, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Jg. 14 (1966), S. 1197.

36Ebd., S.1198.

37Diese Edition erschien zuerst in der zweibändigen Ausgabe: Karl Marx, Der historische Materialismus. Die Frühschriften, hg. von Siegfried Landhut und Jakob Peter Mayer, Leipzig 1932 und wurde nach dem Krieg unverändert in Karl Marx, Die Frühschriften, hg. von Siegfried Landshut, Stuttgart 1953 übernommen. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um eine Originaledition, sondern Landshut übernimmt Rjasanows Edition im Marx-Engels-Archiv, allerdings ohne den textkritischen Apparat.

38Es gibt aber weiter sinnentstellende Entzifferungsfehler. So lautet etwa die Entzifferung einer Marxschen, gegen Feuerbach gerichteten Randbemerkung: ,,Gibt keine Kritik der jetzigen Lebensverhältnisse``, wo eigentlich ,,Liebesverhältnisse`` stehen müßte.

Hingewiesen hat darauf übrigens Ernst Bornemann, Das Patriarchat, Frankfurt/Main 1983, S. 12.

39Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich Frau Goldbeck und Herrn Voß von der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR danken, die in den Kellern gewühlt haben, um mir ein Exemplar dieses Probebandes zur Verfügung zu stellen.

40Inge Taubert, Hans Pelger, Jacques Grandjonc: ,,Die Darbietung der Handschriften im Edierten Text und im Variantenverzeichnis: eine Erwiderung auf Kritik am Probeband der MEGA(2) von 1972 und an den Editionsrichtlinien der MEGA(2) von 1993``, in: MEGA-Studien 1997/2, S.170ff.


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